In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen, was in der Folge die Mieten in vielen Städten und Regionen stark steigen lässt. Für Deutschlands größtem Immobilienkonzern, Vonovia, eigentlich gute Rahmenbedingungen, denn mit steigenden Mieten erhöhen sich auch die Mieteinnahmen. Doch wegen der hohen Finanzierungs- und Baukosten in Folge der hohen Inflation kann sich kaum noch jemand eine Immobilie leisten, was die Immobilienpreise fallen lässt. Für Vonovia wiederum keine guten Nachrichten, da der Konzern Wertberichtigungen in seinem Bestandsportfolio vornehmen muss.
In den vergangenen Jahren profitierte Vonovia enorm von der Niedrigzinsphase und ist vor allem über Zukäufe im In- und Ausland kräftig gewachsen. Mit insgesamt rund 548.000 Wohnungen in Deutschland, Schweden und Österreich ist der Bochumer Immobilienkonzern inzwischen Europas größtes privates Wohnungsunternehmen. Doch dem Konzern machen wie auch der gesamten Branche die hohe Inflation, teure Baukosten sowie steigende Zinsen massiv zu schaffen. Seit Monaten sinken die Preise für Häuser und Wohnungen – auch wenn der Preisrutsch zuletzt etwas nachgelassen hat. Die Bochumer mussten den eigenen Immobilienbestand im zweiten Quartal um weitere 2,8 Milliarden Euro auf 88,2 Milliarden Euro abwerten. Bereits im ersten Quartal musste Vonovia Wertberichtigungen in Höhe von etwa 3,6 Milliarden Euro vornehmen, woraus sich für das erste Halbjahr Anpassungen in Höhe von 6,4 Milliarden Euro ergeben.
Im Tagesgeschäft lief es für die Bochumer deutlich besser. Nach einem deutlichen Rückgang im Auftaktquartal verharrte der operative Gewinn von April bis Juni mit 502,2 Millionen Euro jedoch annähernd auf Vorjahresniveau. Während sich vor allem die Geschäfte mit der Projektentwicklung und zusätzlichen Dienstleistungen schwächer entwickelten, lief es für Vonovia in der Vermietung aufgrund der weiterhin hohen Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in den Ballungsgebieten im zweiten Quartal deutlich besser – im Vergleich zum Vorjahresquartal stieg der operative Gewinn aus der Vermietung um 10,3 Prozent. Unter dem Strich schrieb Vonovia wegen der Wertberichtigungen im zweiten Quartal jedoch einen Verlust von rund 2 Milliarden Euro nach einem Gewinn von 1,8 Milliarden Euro vor Jahresfrist.
Schwierig lief es im zweiten Quartal auch bei den Immobilienverkäufen. Nach zwei großen Transaktionen im ersten Quartal kamen von April bis Juni keine neuen Verkäufe dazu. Vonovia kündigte lediglich an, ein neues Portfolio im Norden für ein Joint Venture geschnürt zu haben, für das man nun einen Käufer oder Partner sucht. Das Geld aus den Transaktionen wird benötigt, um die Schuldenlast zu senken. Der für die Branche entscheidende Loan to Value (LTV), also der Verschuldungsgrad im Verhältnis zum Wert der Immobilien, ist im zweiten Quartal leicht um 0,2 Prozentpunkte auf 46,8 Prozent gestiegen, womit er nach wie vor über dem selbst gesteckten Zielkorridor von 40 bis 45 Prozent liegt.
Konzernchef Rolf Buch zeigte sich nach der Präsentation der Halbjahreszahlen jedoch überaus zufrieden. „Es ist eine starke Leistung, dass wir uns in diesem herausfordernden Marktumfeld so gut entwickelt haben“, sagte Buch. Für die weitere Jahresentwicklung gab sich der Konzernchef ebenfalls optimistisch.
Positiv aufgenommen wurde zuletzt der Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB). Obwohl die EZB die Leitzinsen um weitere 25 Basispunkte angehoben hat, legte die Vonovia-Aktie infolge der Entscheidung deutlich zu. Grund dafür war, dass die Äußerungen der Notenbank darauf hindeuten, dass sie die Leitzinsen zum letzten Mal angehoben haben könnte und der Zinsgipfel zumindest im Euroraum damit erreicht ist. Dies dürfte den Preisverfall bei Wohnimmobilien bremsen, womit sich Wertberichtigungen in der Größenordnung der vergangenen beiden Quartale möglicherweise nicht wiederholen werden.
Die Vonovia-Aktie ist am 31. August wieder über die aktuell bei 21,01 Euro verlaufende 200-Tage-Linie geklettert. Mit Schwung konnte am gleichen Tag auch das Juli-Hoch bei 21,63 Euro überquert werden, womit sich das Chartbild wieder deutlich aufgehellt hat. Inzwischen notiert die Aktie knapp oberhalb der 24-Euro-Marke. Bis zum Jahreshoch vom Januar bei 28,72 Euro stellt sich zunächst keine signifikante Hürde mehr in den Weg. Kann die Aktie das Hoch herausnehmen, würde sich sogar Erholungspotenzial bis zum im Zuge der Coronakrise erreichten Korrekturtief vom März 2020 bei 34,41 Euro eröffnen.