Der deutsche Leitindex DAX erreichte zuletzt ein Rekordhoch nach dem nächsten. In den vergangenen Tagen setzten zwar leichte Gewinnmitnahmen ein, doch notiert der DAX seit Jahresanfang noch immer um beeindruckende 8,5 Prozent im Plus. Enttäuschend dagegen die Entwicklung der Infineon-Aktie, die seit Jahresbeginn bereits um mehr als 11 Prozent verloren hat. Der Gegenwind hat in einigen Geschäftsbereichen zugenommen, doch sorgte ein Bereich für enorme Fantasie. Die aktuelle Kursschwäche könnte sich als günstige Einstiegsgelegenheit erweisen.
Infineon hat seinen Aktionären vor einiger Zeit ein Umsatzplus von im Schnitt mehr als 10 Prozent pro Jahr über einen Branchenzyklus hinweg versprochen. Doch Anfang Februar ruderte der Halbleiterkonzern zurück und stellte für das laufende Geschäftsjahr, dass am 30. September endet, sogar einen leichten Umsatzrückgang in Aussicht. Das schmeckte den Anlegern überhaupt nicht.
Nach dem Rekordergebnis im vergangenen Geschäftsjahr bekommt Infineon den konjunkturellen Gegenwind nun stärker zu spüren. „Infineon ist nicht immun gegen allgemeine Markttrends“, sagte Firmenchef Jochen Hanebeck Anfang Februar, als er die Börse informierte, dass 2024 nicht so gut läuft wie erwartet und wohl ein „Übergangsjahr“ wird.
Im März kam dann der nächste Dämpfer. Die chinesische Regierung will heimische Elektroautobauer wie BYD und Geely dazu bewegen, deutlich mehr Elektronikchips von chinesischen Anbietern zu kaufen. Damit solle Chinas Halbleiterindustrie gestärkt und die Abhängigkeit von westlichen Lieferungen verringert werden. Die Meldung schürte am Markt zusätzliche Nachfragesorgen, denn Infineon ist in der Automobilindustrie und speziell in China sehr aktiv.
Doch so einfach, wie sich die chinesische Regierung dies vorstellt, dürfte es nicht sein. Infineon ist nicht umsonst Weltmarktführer bei Halbleiterlösungen fürs Auto, da die Infineon-Chips sehr gut sind. Wenn es so einfach wäre, einfach Chips anderer Hersteller zu nehmen, dann würden dies eventuell auch andere Autobauer machen. Infineon wird auch in Zukunft ein bedeutender Hersteller für die Automobilindustrie bleiben.
Unterschätzt wird bei Infineon möglicherweise das Potenzial mit Künstlicher Intelligenz, kurz KI. Infineon ist kein klassischer Hersteller von KI-Chips, doch zählt Infineon dennoch zu einem der wichtigsten Halbleiterproduzenten im KI-Bereich. Wegen des KI-Hypes schießen derzeit Rechenzentren wie Pilze aus dem Boden. Das Problem: Die weltweiten Rechenzentren verbrauchen heute schon so viel Strom wie ganz Australien. Schätzungen gehen davon aus, dass KI-Anwendungen 2030 bereits 10 Prozent des weltweit verfügbaren Stroms verbrauchen könnten. Der gewaltige Stromhunger ist für KI-König NVIDIA, aber auch Betreiber der Rechenzentren wie Microsoft, Google und Amazon längst eines der größten Geschäftsrisiken. Hier kommt Infineon ins Spiel.
Infineon produziert sogenannte Leistungshalbleiter und ist auf diesem Gebiet Weltmarktführer. Die Infineon-Chips sind wegen ihrer Bauweise besonders Stromsparend. Mit den Chips von Infineon ließe sich nach Meinung eines hochrangigen Infineon-Managers der Energieverbrauch von Rechenzentren um 10 bis 20 Prozent senken, wenn überall auf der Welt die modernsten Produkte von Infineon eingesetzt würden. Schon jetzt werden nach Expertenmeinung in jedem KI-Server Leistungshalbleiter des DAX-Konzerns im Wert von mehr als 1.000 US-Dollar verbaut. Für einen einzelnen KI-Server bietet der Konzern eigenen Angaben zufolge jedoch Lösungen im Umfang von bis zu 1.800 Dollar an. Infineon verspricht sich wegen des KI-Hypes ein Umsatzwachstum bei Leistungshalbleitern in KI-Servern von jährlich 50 Prozent. Der Bereich könnte somit bereits 2029 eine Milliarde Euro zum Gesamtumsatz beisteuern – derzeit ist es ein niedriger dreistelligen Millionenbetrag.
Die Infineon-Aktie hat möglicherweise eine Erholungsbewegung gestartet – in den vergangenen Tagen zog die Aktie deutlich an und kletterte sowohl über den aktuell bei 32,84 Euro verlaufenden Durchschnitt der vergangenen 38 Tage als auch über den aktuell bei 33,67 Euro verlaufenden 200-Tage-Durchschnitt. Das Chartbild hat sich damit wieder deutlich aufgehellt. Kann auch das März-Hoch bei 35,42 Euro überquert werden, würde sich zunächst weiteres Erholungspotenzial bis zum Dezember-Hoch bei 39,35 Euro eröffnen. Auf der Unterseite sollte das jüngste Korrekturtief bei 31,87 Euro nicht unterschritten werden.
